Tirana Journal 2024
Notizen zu Inszenierung und Stadt
Tirana Journal 2024
Notizen zu Inszenierung und Stadt
Mit ‚SCHATTEN (Eurydike sagt)‘ kommt zum ersten Mal ein Text von Elfriede Jelinek in Albanien zur Aufführung. Nach meiner Wiener Inszenierung 2016/2017, dem englischsprachigen Solo in London, New York und Washington 2022/2023 nun wieder eine neue ‚SCHATTEN‘ Inszenierung in neuer Textfassung – mit Albana Kocaj, Flobensa Bezati, Adriana Tolka – diesmal im Teatri Eksperimental ‚Kujtim Spahivogli‘ in Tirana, in englischer Sprache mit albanischen Untertiteln.
Erstmals landet ‚SCHATTEN‘ also im Theaterraum. Auch wenn das Publikum diesmal im Saal sitzt (in Wien konnte es sich frei im Fabriksraum des F23 bewegen und so immer neue Perspektiven auf das Gesehene und Gehörte einnehmen) versuchen wir auch hier die Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum weitgehend aufzuheben. Die ersten beiden Sitzreihen fehlen und finden sich in der Bühnentiefe wieder – eine Spiegelsituation entsteht. Die drei Schauspielerinnen ‚laufen‘ als Models ‚ein‘ (Kostüme Sofi Kara) – im blutbefleckten Brautkleid (Flobensa Bezati), mit Spuren von Schlägen im Gesicht (Adriana Tolka), einer Schußwunde in der Herzgegend (Albana Kocaj) – Stigmata meist männlicher, mitunter tödlicher Gewalt. Sie adressieren das Publikum zunächst von den Seitengängen aus und dem Bereich vor der Bühne. Alexandra Pitz, die Bühnenbildnerin, mit der wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten, hängt insgesamt 106 nach Schwarz- und Grautönen genau ausgewählte Kostüme, ein paar helle Perücken dazwischen, den Bühnenhintergrund und die seitlichen Begrenzungen entlang: sie ragen links und rechts weit in die Zuschauertribüne hinein. Damit wird aus den getrennten Bereichen Bühne – Zuschauerraum ein Installationsraum.
Wolfgang Musil trägt das seine dazu bei: live electronics und seine Klangregie – die Schauspielerinnen sprechen über Mikroports, Musil entscheidet in der Livesituation, aus welchem der acht Lautsprecher die jeweiligen Stimmen zu hören sind – lassen immer neue Hörräume entstehen.
Der Jelinek-Text, in einer für die Schauspielerinnen neu erarbeiteten Strichfassung entfaltet seine Kraft mit der Persönlichkeit jeder einzelnen Eurydike als szenisches Konzert aus drei Stimmen – immer einander zuhörend, jederzeit bereit, eine Textzeile der anderen zu übernehmen, überlappen sie sich zeitweilig und sind dennoch eins – ein Gedankenstrom voller Wortwitz, dringlich und leicht zugleich im Idealfall.
Warum ausgerechnet dieser Text zum wiederholten Male? Wegen seiner Vielschichtigkeit und seines Anspielungsreichtums, seiner musikalischen Eleganz und Schönheit, seiner gesellschaftlichen Dringlichkeit.
In ‚SHADOW. Eurydice says‘, so der Titel in der englischen Übersetzung von Gitta Honegger, hat Eurydike das Sagen, sie ergreift das Wort, löst sich aus Zuschreibungen und Erwartungshaltungen, auch den eigenen. Der Mythos von Orpheus und Eurydike wird aus weiblicher Perspektive erzählt.
Die Gleichstellung der Geschlechter ist weder in Albanien noch in anderen europäischen Ländern erreicht, Gewalt gegen Frauen steigt mit dem Maß ihrer Unabhängigkeitsbestrebung und wird immer wieder bagatellisiert – mit ‚SCHATTEN (Eurydike sagt) steht uns Material zur Verfügung, das in Inhalt und Form aktueller denn je ist. Jede neue Beschäftigung damit bestätigt das.
Tirana – schnell, laut, eine spröde Schönheit
Nicht einmal eineinhalb Flugstunden von Wien entfernt, taucht man, einmal gelandet, zwangsläufig unvermittelt in den schnellen und lauten Takt der albanischen Hauptstadt ein. Am internationalen Flughafen ‚Nënë Tereza‘ starten und landen 250 Maschinen täglich und bringen Scharen vor allem junger Tourist:innen in die Stadt. Eine Vielzahl von Taxis, die meisten elektrisch betrieben, bringen sie in die zahlreichen ‚Apartamenti‘ und Hotels; alles ist ausgerichtet auf zwei bis höchstens fünf Nächtigungen; bezahlt wird in Euro und in Cash. Was einst verbotene Zone rund um das Anwesen des ehemaligen Diktators Enver Hoxha im Zentrum war, der Blloku, ist heute Party Hotspot. Abrissbirnen neben Baukränen prägen das Bild der Stadt, durch den dichten und meist stockenden Verkehr bahnen sich mutige Fahrradfahrer:innen auch abseits der neuen und noch wenigen für sie bestimmten Zonen, den Weg. Zebrastreifen sind mit Vorsicht zu genießen; sie geben keine Garantie, dass die das Strassenbild dominierenden SUVs auch tatsächlich anhalten. Mit zunehmender Stadterfahrung regelt sich das über Blickkontakte – in die wogende Stadt sich mitbewegend einzufügen ist der beste Weg, unbeschadet weiterzukommen. Während noch vor wenigen Jahren zahllose friedliche Wildhunde den Passant:innen folgten um einen Bissen zu ergattern, sind es nun weiße Pudel und andere prestigeträchtige Rassen, die ihre Besitzer:innen an der Leine ausführen. Es gibt neuerdings nicht nur Hundezonen, auch die Busse sind mit Nummern versehen und fahren annähernd einem Fahrplan folgend. Die traditionelle und weithin gerühmte Gastfreundschaft der Albaner:innen läuft Gefahr mit den rasanten Entwicklungen, mit denen die meisten nicht Schritt halten können und an den Verlockungen des schnellen Geldes, das mit den Touristenströmen greifbar scheint, Schaden zu nehmen. Lediglich in den abgelegenen Seitenstrassen und je weiter man sich vom Zentrum um den Skanderbeg Platz entfernt, trifft man auf Landbevölkerung ‚alten Schlags‘ und jeden Alters, die an den Strassenrändern ihr Gemüse, Eier der eigenen Hühner, am Wochenende auch einmal einen Hahn, wohlfeil und freundlich anbietet und sich über jedes Gespräch über Verständigungsgrenzen hinweg freut. Frischer Fisch und Meeresfrüchte aus dem 30 Kilometer entfernten Durres, Gemüse und verschiedene Fleischsorten bester Qualität werden langsam geschmort, gebraten, mit unterschiedlichen Schafkäsesorten und frischen Kräutern verfeinert. Alles von bester Qualität, ob beim Take-away oder im Restaurant, ganz zu schweigen von der herausragenden Patisserie, der man selbst als ‚Nicht-Sweety‘ kaum widerstehen kann. Das für Gemüse- und Obstanbau günstige Klima, osmanische und italienische Einflüsse und die nach wie vor aufrechte Tradition, dass täglich für die ganze Familie frisch gekocht wird (ja, die Frauen!) haben die albanische Küche auf ihr hohes Niveau gebracht. Foodies und Zahnpatient:innen machen einen nicht unwesentlichen Touristenanteil aus. An jeder Ecke gibt es eine ‚Klinika dentare‘; hier werden vor allem amerikanische Patient:innen mit Implantaten versorgt, die samt Reise- und Aufenthaltskosten noch weit günstiger zu Buche schlagen als in den USA. Tirana wächst sehr schnell, während der Rest des Landes immer dünner besiedelt ist. Die zahlreichen Deutschkurse im Goethezentrum sind voll belegt, viele gut qualifizierte junge Menschen sehen keine Zukunft in ihrer Heimat und verlassen Albanien Richtung Griechenland, Italien, Deutschland, Großbritannien, USA, Türkei. Die Immobilienpreise sind hoch, in zentrumsnahen Neubauten erreichen sie westeuropäisches Niveau. Das Leben ist um ein Vielfaches teurer als noch vor wenigen Jahren, die Löhne steigen nicht mit. Die meisten haben zumindest zwei, wenn nicht drei Jobs, um irgendwie über die Runden zu kommen.
Das Theater hat gerade einen schweren Stand in der überhitzten Atmosphäre der albanischen Hauptstadt. Die Menschen sind mit dem Überleben beschäftigt und damit, den Kindern bessere Chancen zu bieten, als man sie selbst hatte. Einige Theater suchen ihr Heil in Unterhaltungsformaten, die Streamingdienste und zahllose TV-Kanäle besser und bequemer anbieten. Das alte Nationaltheater im Stadtzentrum war ein Wahrzeichen der albanischen Geschichte und ein lebendiger Ort für die Gegenwart. In einer Nacht- und Nebelaktion während eines Corona Lockdowns 2020 wurde es abgerissen, sein Spielbetrieb aus dem Stadtzentrum verdrängt. Aber es gibt noch immer echte Aficionados, die die Bedeutung des Theaters als öffentlichen Ort hochhalten, an dem sich Bürger:innen in der direkten Begegnung austauschen und sich als konstituierende Mitglieder der Stadtgesellschaft wahrnehmen. Umso erfreulicher die ungebrochen gute Zusammenarbeit in der Produktion, vor allem mit Künstler:innen und den verbliebenen engagierten Kräften am Haus, die uns seit der Zusammenarbeit 2018 (albanisch sprachige Erstaufführung von Werner Schwabs „Die Präsidentinnen“) zu Verbündeten und Freund:innen geworden sind für ein lebendiges Theater und eine gemeinsame europäische Kultur.
SabMitt Dez 2024