Nationaltheater in Tirana besetzt!
Trotz des gewaltsamen Polizeieinsatzes mit mehreren Verletzten gelang es einer Gruppe albanischer Künstler:innen und Intellektuellen am Mittwochmorgen das vom Abriss bedrohte albanische Nationaltheater im Zentrum der Hauptstadt Tirana zu besetzen, wie die Allianz zum Schutz des Theaters (Aleancapër mbrojtjen e Teatrit) am Nachmittag vermeldet. Die Allianz setzt sich seit einem Jahr mit regelmäßigen Protesten, Aufführungen und Konzerten für den Erhalt des Theaters ein, das nach den Plänen des dänischen Investors Bjarke Ingels Group (BIG) und der albanischen Regierung 6 Hochhäusern und einer Shopping Mall weichen soll. Sie wirft dem albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama und dem Bürgermeister von Tirana Erjon Veliaj Korruption und mehrfachen Bruch geltenden Rechts vor.
Es gehe um das kulturelle Gedächtnis des Landes, gleichermaßen auch um den Kampf gegen zunehmend autoritäre Tendenzen beim EU-Beitrittskandidaten Albanien, so der Schauspieler und Filmregisseur Edmond Budina, der als Sprecher der Allianz bei der Polizeiaktion gezielt angegriffen und verletzt wurde. Ein Manifest der Besetzer:innen sucht europäische Unterstützung – es appelliert an „die Bürger der EU, an Architekten, Denkmalschützer, Wissenschaftler, Künstler und die Politiker im Europäischen Parlament um diesen Angriff auf Kultur und öffentliches Interesse zu stoppen bevor es zu spät ist“.
Wir solidarisieren uns gemeinsam mit Elfriede Jelinek, Händl Klaus, der IG Autorinnen Autoren, der deutschen Sektion des Internationalen Theaterinstituts ITI in einem Aufruf an die europäische und österreichische Politik, den Erhalt des Albanischen Nationaltheaters zu unterstützen und von der albanischen Regierung die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien und eine wirksamen Kampf gegen Korruption einzufordern:
Auf dem Grund des Nationaltheaters sollen in einer Public-private-Partnership (PPP) mit dem dänischen Bauinvestor Bjarke Ingels Group (BIG) sechs Hochhäuser und ein Theaterneubau als Teil einer Shopping Mall entstehen. Die Preisgabe des Nationaltheaters in seiner bisherigen Form scheint damit beschlossene Sache. Kunst- und Kulturschaffende und engagierte Bürger:innen Tiranas protestieren seit einem Jahr gegen diese Pläne und wehren sich nun mit einer Besetzung des Theaters. Nach ersten Polizeieinsätzen droht die gewaltsame Räumung des Geländes.
Der internationale Währungsfonds und die Weltbank haben die Praxis solcher Public-private-Partnerships (PPP) in Albanien schon mehrmals kritisiert, weil die Risiken einseitig zu Lasten des Staats bzw. der Bevölkerung gehen. Ihre Forderung lautet, diese Praxis bis zur Etablierung transparenter Entscheidungsvorgänge zu beenden. Davon kann jedoch keine Rede sein.
Albanien strebt auch mit starker österreichischer Unterstützung den Beitritt zur EU an. Die EU-Tauglichkeit ist nicht gegeben, solange Regeln wie Ausschreibungen, Vergabetransparenz etc. nicht eingehalten werden und stattdessen mit den EU-Standards nicht kompatible Anlassgesetze nur den Anschein von Legalität herstellen. Es macht auch alles andere als ein gutes Bild, wenn ein Unternehmen aus einem EU-Land in einem EU-Beitrittskandidatenland mit anderen Regeln operiert als innerhalb der EU.
Die Kolleg:innen in Tirana brauchen dringend unsere Unterstützung. Sie brauchen die Unterstützung der europäischen Politik, sie brauchen die Unterstützung der österreichischen Politiker:innen, die für den Beitritt Albaniens zur EU sind. Der Kampf der albanischen Zivilgesellschaft gegen das Verschleudern öffentlicher Güter an private Investoren und gegen den Ausverkauf der albanischen Theaterkultur verdient unsere uneingeschränkte Solidarität. Wir appellieren an alle angesprochenen Personengruppen, sich dringend dafür einzusetzen, das Nationaltheater in Tirana zu erhalten und nicht Investoren-Interessen zu opfern.
Helfen Sie mit, tragen Sie dazu bei, dass das Nationaltheater in Tirana nicht abgerissen wird. Nützen Sie ihre Kontakte, schaffen Sie Aufmerksamkeit und unterstützen Sie die albanischen Kunst- und Kulturschaffenden bei ihrem Kampf um den Erhalt des Nationaltheaters in Tirana, wo und wann immer sie dazu in der Lage sind.
Update 31. Juli 2019
Der Plan das Nationaltheater zu schleifen und im historischen Zentrum der Stadt eine Shopping Mall zu errichten, sei „Diebstahl an der Öffentlichkeit“, so fasst Nora Sefa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ihr Interview mit dem Aktivisten Besjan Pesha zusammen.
In der heutigen Ausgabe der taz berichtet die Schriftstellerin Lindita Komani aus dem besetzten Theater. Sie gibt nähere Erläuterungen zu den Abrissplänen der Regierung. Ein mit den Stimmen der Regierungspartei eilig beschlossenes, nach Ansicht von Staatspräsident Ilir Meta verfassungswidriges Sondergesetz, habe den Deal überhaupt erst möglich gemacht. Weiters informiert Komani über die Geschichte des Theaters und die Auseinandersetzungen um den Denkmalschutz. Das Nationaltheater sei nicht einfach ‚nur‘ ein Theater, das 1938/1939 errichtete Gebäude stehe für die moderne Kultur Albaniens schlechthin.
Für die deutsche Heinrich Böll Stiftung liefert Rezarta Caushaj einen ausführlichen Bericht über die Hintergründe der Abrisspläne. Nach Caushaj offenbart sich hier ein gigantisches Netzwerk von Korruption, Intransparenz und offenem Rechtsbruch durch die derzeitige albanische Regierung und die Stadtverwaltung von Tirana.