RECHNITZ (Der Würgeengel) RECHNITZ (Anđeo uništenja)
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©Dženat Dreković | Selma Alispahić

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©Dženat Dreković | Dženana Džanić Jelena Kordić Kuret

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©Dženat Dreković | Sead Pandur Selma Alispahić Dražen Pavlović Dženana Džanić

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©Dženat Dreković | Jelena Kordić Kuret

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©Dženat Dreković | Sead Pandur Selma Alispahić

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©Dženat Dreković | Selma Alispahić Jelena Kordić Kuret Sead Pandur Dženana Džanić

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©Dženat Dreković | Jelena Kordić Kuret

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©Dženat Dreković | Sead Pandur Dražen Pavlović Selma Alispahić

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©3007 | Plakat | European Design Award 2022 in Gold | 100 beste Plakate 21 | Tokyo TDC Exhibition 2023


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©3007

RECHNITZ (Der Würgeengel) RECHNITZ (Anđeo uništenja)

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Elfriede Jelinek 

Erstaufführung in bosnisch/kroatisch/serbischer Sprache mit englischen Untertiteln*

Koproduktion SARTR Theatre of War Sarajevo mit HNK Mostar in Kooperation mit theater.punkt und Realstage Sarajevo

In einem Schloss in Österreich nahe der ungarischen Grenze feiern SS-Offiziere, höhere Nazi-Ränge und die gastgebende Gräfin, Tochter eines bedeutenden deutschen Industriellen, ein rauschendes Fest. Als „Event“ nach Mitternacht erschießt die Festgesellschaft 200 aus Ungarn verschleppte jüdische Zwangsarbeiter.

Die Täter entkommen zu Kriegsende nach Südafrika, in die Schweiz oder leben jahrelang unbehelligt in Deutschland. Das Schloss ist niedergebrannt, Zeugen sterben auf rätselhafte Weise, Ermittlungen verlaufen im Sand, ein Dorf hüllt sich in Schweigen. Die Massengräber der Ermordeten sind bis heute nicht gefunden.


Elfriede Jelinek nähert sich dem Grauen in Form des Botenberichts. Ein Konzert von Stimmen umkreist den historischen Tatbestand in immer engeren Zirkeln. Alles Leugnen, Relativieren und Verharmlosen fällt Zug um Zug in sich zusammen. Die Autorin fragt danach, wie eine Gesellschaft mit einem Genozid und der niemals verblassenden Erinnerung daran umgehen kann. Es gibt nur eine Geschichte, sie gehört keiner Partei, keiner Nation, keiner Ethnie.

>>> Selma Alispahić als „Beste Schauspielerin“ beim Festival „Theater at the Crossroads” 2022 in Niš | Serbien ausgezeichnet <<<

Termine

> > > Im Repertoire von SARTR und HNK – Mostar < < <

Nächste Vorstellung am 17. Juni 2023 im SARTR Theatre of War in Sarajevo

Premiere in Sarajevo am 18. Februar 2022 | in Mostar am 26. Februar 2022


10. Juli 2022 in Srebrenica in Zusammenarbeit mit dem Srebrenica Memorial Center


8. Sept 2022 beim Festival „Theatre at the Crossroads” in Niš | Serbien

Besetzung

Selma Alispahić, Jelena Kordić Kuret, Dženana Džanić, Sead Pandur, Dražen Pavlović 

Inszenierung Sabine Mitterecker 
Bühne Monika Močević 
Kostüm Lena Samardžić 

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PRESS | COMMENTS

This theatrical work is an excellent example of contemporary theater that practically examines the possibilities and scope of its own medium, tackling in this way both formally and content-wise the legacy of post-war societies, and the challenges of remembering and talking about crimes, the victims and perpetrators thereof.

Vladko Ilić | Kurator “Theatre at the Crossroads” Niš | Serbien über RECHNITZ (Anđeo uništenja)


‘Anđeo uništenja’ u Srebrenici: Apel da se genocid nigdje i nikad ne ponovi'

‚Der Würgeengel' in Srebrenica: Appell, damit sich Genozid nirgendwo und nie mehr wiederholt

Gloria Lujanović aus Srebrenica | Al Jazeera | 9. Juli 2022

  

Versteckspiel mit dem Verbrechen: Jelineks „Rechnitz“ in Sarajevo

Jelinek´sche Sätze wie „Wir leugnen alles. Wenn Sie uns fragen, leugnen wir schon, bevor Sie die Frage fertiggestellt haben.“ wirken in diesem Kontext wie die Framingversuche heutiger Politiker, die sich von einem Abstreiten zur nächsten Lüge hinüberturnen und noch immer Menschen nach „Ethnien“ geordnet trennen wollen, weil Rassisten eben essenziell nicht so sehr das Andere als das Gemischte verachten.

Vieles an Jelineks Texts führt hier unweigerlich zu Assoziationen.

Die ausgelassenen Partyszenen erinnern etwa an jenes Gelage von Polizeibeamten im serbischen Priboj Anfang Jänner dieses Jahres, bei dem zum Teil halbnackte Männer, Schnaps hinunterleerend, den Völkermord in Srebrenica priesen…Eine Aufführung in Srebrenica ist geplant.

Adelheid Wölfl | DER STANDARD | 21. Feb 2022


En Bosnie, une pièce pour panser les plaies de l´histoire

„Rechnitz“ d´Elfriede Jelinek, jouée à Sarajevo, condense des questions sensibles

dans un pays déchiré il y a trente ans par la guerre civile

Ein Stück in Bosnien, um Wunden der Vergangenheit zu heilen

Elfriede Jelineks in Sarajevo aufgeführtes Stück "Rechnitz" verdichtet heikle Fragen

in einem Land, das vor dreißig Jahren durch einen Bürgerkrieg erschüttert wurde.

Joëlle Stolz | Le Monde |26. Feb 2022

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Texte

Vom Einen sprechen und das Andere zur Sprache bringen


Wie geht eine Gesellschaft mit der Erinnerung an einen Genozid um, die auch nach Jahrzehnten nicht verblasst? Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Bosnienkriegs (1992-95) arbeiten zwei Theater in Sarajevo und Mostar an der Nachgeschichte, die ihre Gesellschaft bis in die Gegenwart gefangen hält.

Für die Auseinandersetzung mit einer Vergangenheit, die nicht vergehen will, zumindest nicht für die, die sie erlitten haben, nutzen das Sarajevo War Theater (SARTR) und das Kroatische Nationaltheater in Mostar einen Text aus fremdem Kontext, der sich in der Arbeit schnell als gar nicht mehr fremd erweist. RECHNITZ (Der Würgeengel) von Elfriede Jelinek kommt erstmals in bosnisch/kroatisch/serbischer Sprache RECHNITZ (Anđeo uništenja) zur Aufführung. In einer internationalen Koproduktion mit österreichischen Partnern erheben sie den Anspruch, darin auch in einer europäischen Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden.


Das SARTR und das Theater in Mostar überschreiten mit dieser Produktion kulturelle Trennlinien der bosnischen Nachkriegsgesellschaft. Sie kooperieren erstmals über mentale Grenzen zwischen von im Krieg verfeindeten Ethnien hinweg. Sie unternehmen den Versuch mit den Mitteln des Theaters zu einem Geschichtsverständnis beizutragen, das dem Streben nach Erkenntnis und einer Ethik des Mitfühlens verpflichtet ist und identitätspolitische Deutungsansprüche der früheren Kriegsparteien hinter sich lässt.

Der Frieden von Dayton hat den Bosnienkrieg militärisch beendet, nicht psychologisch. Das Abkommen hat den Status quo zwischen den Kriegsparteien lediglich festgeschrieben: ein Staat, zwei Entitäten, eine bosnisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska, drei Ethnien: Bosniaken, Kroaten, Serben. Das Paradoxon des Friedens von Dayton besteht darin, dass er die ethnonationalen Gruppenidentitäten, die der Krieg hervorgebracht hat, als Verfassungsprinzip perpetuiert.

Gegründet wurde das Sarajevo War Theater 1992 unmittelbar nach Beginn der fast vierjährigen Belagerung durch serbische Truppen, die 11.000 Menschen das Leben kostete. In der eingeschlossenen Stadt war das Theater ein letzter Ort, an dem künstlerische Arbeit noch möglich war. Es wurde Symbol des Überlebenswillens, der Beharrung und des Widerspruchs gegen den „Surrealismus des Kriegs“. Das Theater in Mostar arbeitet als kroatische Einrichtung in einer zwischen bosniakischer und kroatischen Bevölkerung de facto geteilten Stadt. Theater auf beiden Seiten beginnen mit der vorsichtigen Einübung in einen kleinen Grenzverkehr. Jelinek und die Initiative des SARTR zu diesem Projekt erweitern solche Entspannungspolitik von der kommunalen in eine nationale und letztlich internationale Dimension.

Schauspieler:innen aus Sarajevo, Selma Alispahić, Dženana Džanić und Sead Pandur, aus Mostar Jelena Kordić Kuret und Dražen Pavlović, die Wiener Regisseurin und Koproduzentin Sabine Mitterecker und ihr Team (alle aus den beiden koproduzierenden Theatern) entwickeln sich über die Arbeit an Jelinek zu einem Ensemble. Davor liegen zweieinhalb Jahre Vorbereitungszeit, immer wieder verzögert von Reisebeschränkungen durch die Pandemie. Nach der Phase der Textbearbeitung setzen sich die Übersetzungsvorgänge zwischen Deutsch, Englisch und Bosnisch/Kroatisch/Serbisch weit in den Probenprozess hinein fort und liefern ein Angebot zur Selbstermächtigung für die Arbeit der Schauspieler:innen gegenüber der Literatur.

Sie interessiere in diesem Projekt vor allem die Arbeit mit dem Widerstand der Sprache, sagt Sabine Mitterecker, die aus dem Textkorpus von Jelinek für den Probenprozess eine synoptische Fassung in drei Sprachen eingerichtet hat, der eigenen wie der fremden. „Es geht mir um die Erfahrung, was Sprache jenseits ihres bloßen Mitteilungscharakters im Theater entfalten kann. Was man alles versteht, auch wenn man zuerst nichts versteht.“ Sie misstraut der Vorstellung einer bruchlosen Kommunikation durch eine lingua franca, zumindest im künstlerischen Kontext. Das dränge zwangsläufig die Erfahrungen des kulturell weniger dominanten Teils der Kommunikation in den Hintergrund. „Sprachgrenzen sind Wohlstandsgrenzen und im Theater harte institutionelle Grenzen“.

Die „europäische Perspektive“ sei vom Westbalkan aus gesehen eine schiefe Ebene mit derzeit eher zunehmendem Steigungswinkel. Im blinden Fleck des deutschsprachigen Theaters falle das wenig auf. Die Frage bleibe, wie lassen sich kulturelle Austauschprozesse künftig fairer und nachhaltiger gestalten? Gastspieleinladungen seien eine schöne Geste, eigene Gastspiele exportieren vor allem die eigenen Ideen. „Es bleibt letztlich nur die Möglichkeit Zeit und Ressourcen in gemeinsamer Arbeit zu teilen. Damit betritt man aber mehr oder minder kulturpolitisches Neuland.“ Längerfristige internationale Kooperationen seien in den gängigen Fördersystem nicht vorgesehen. „Wir arbeiten hier mit verschiedenen österreichischen Subventionsgebern und auch dem Österreichischen Kulturforum in Sarajevo zusammen“. Auch wenn die Interessen künstlerischer Arbeit und die einer interessengeleiteten Außenpolitik in diesem Fall zur Deckung kommen, so Mitterecker, sei eine europäische Perspektive im Theater in erster Linie eine künstlerische und kulturpolitische Aufgabe.

In RECHNITZ berichten Boten über das Massaker an 200 aus Ungarn verschleppten jüdischen Zwangsarbeitern im Osten Österreichs während der letzten Tage des Zweiten Weltkriegs. Zugleich verstricken sich Jelineks Boten in die Sprechmuster der Nachgeschichte. Sie spielen alle erdenklichen Varianten des Leugnens, Herunterspielens, Relativierens oder Umdeutens, die im öffentlichen Sprechen deutscher und österreichischer Nachkriegsgesellschaften den Ton angaben. Das Auffinden von Entsprechungen in der bosnischen Gegenwart bleibt nicht aus. Manche Sätze der Boten wirken wie eine Karikatur der Sprechweisen nationalistischer Politiker. Jelineks Totenrede über die nie gefundenen Gräber der Ermordeten trifft auf die Tagesnachricht, dass in Südbosnien kürzlich wieder Massengräber entdeckt wurden.

Aber ist es legitim, von Verbrechen im Zweiten Weltkrieg und Verbrechen im Bosnienkrieg in einem Kontext zu handeln? Die erste Funktion des Vergleichs ist die Unterscheidung. Jeder Versuch einer Gleichsetzung würde gerade zu jener Praxis der ideologischen Vereinnahmung führen, gegen die dieses Projekt im lokalen Kontext ankämpft. Die Arbeit mit RECHNITZ baut auf die Differenz, die es erlaubt, durch die selbstentlarvenden Sprachspiele wie durch eine Maske zu sprechen.

Elfriede Jelinek leistet eine mentalitätsgeschichtliche Analyse von Tätergesellschaften und der in ihnen wechselweise vorherrschenden Diskurse. Das stellt ein formales Instrumentarium zur künstlerischen Selbstermächtigung zur Verfügung, das sich über den Ursprungskontext hinaus anwenden lässt und auch soll. Erinnerungskultur, posttraditionale Identität sind keine deutschen oder österreichischen Patente.

Auf deutschsprachigen Bühnen sprechen mit dem Stück Nachgeborene zu Nachgeborenen. Hier berühren diese Sätze unmittelbare biografische Erfahrung. Die Möglichkeiten der Distanzierung, Haltungen und Sprechmuster durchzuspielen, ohne dabei „ich“ zu sagen, erlauben die Annäherung an traumatische Erinnerungsinhalte. Für Selma Alispahić, seit Jahren eine der Protagonistinnen des SARTR und medial präsente Leitfigur im Kulturleben der Stadt, hatten sie zeitweise den Charakter eines therapeutischen Reenactments, das so nur durch wechselseitiges Vertrauen, Zeitdauer und Professionalität der Arbeit möglich wurde.

„Ich tue das für die Generation meiner Kinder“, sagt Alispahić, die die Belagerung als junge Erwachsene erlebt hat. „Meine Kinder lernen das von mir und nicht in der Schule“ kritisiert Alispahić den Umgang mit der Zeitgeschichte im ethnisch segregierten Schulsystem. Wenn Erinnerungskultur zur Privatsache werde, bedeute das eben auch, dass auch die ethnonationalistischen Narrative über die Familie ungefiltert in die nächste Generation weitergetragen werden können.


Uwe Mattheiss | nachtkritik.de | 9. März 2022

„Rechnitz (Der Würgeengel)“ handelt von einem Massaker an 200 jüdischen Zwangsarbeitern in einem Schloss in Österreich während des Zweiten Weltkriegs. Was bedeutet es für Sie, ein solches Stück gerade hier in Bosnien-Herzegowina zu inszenieren?

Die Initiative dazu ging vom Sarajevo War Theater (SARTR) aus, gemeinsam mit dem Kroatischen Nationaltheater Mostar. Es ist nicht an uns, Lehren zu erteilen oder Vergleiche zu ziehen. Wir können in unserer Arbeit nur Erfahrungen teilen und gemeinsam nach Antworten suchen. Wie geht eine Gesellschaft mit der Erinnerung an einen Genozid um, die auch nach Jahrzehnten nicht verblasst? Ohne die Aufarbeitung der Vergangenheit, so schmerzlich sie für viele sein mag, bleibt die Zukunft verstellt. Das gilt nicht nur für Überlebende und Nachfahren der Opfer, sondern um so mehr für die Kinder der Täter, der Kollaborateure und der Untätigen.

Was kann das Theater, was kann Literatur zu diesem Prozess beitragen?

Beide sind nach wie vor Orte der Selbstaufklärung einer Gesellschaft. Sie sprechen nicht die Sprache der Macht, folgen nicht dem Kalkül des Nützlichen. Sie können daher Dinge differenzierter betrachten, vieles klarer benennen und Einsichten formulieren, zu denen etwa die politische Sphäre (noch) nicht fähig ist. Was Österreich betrifft, historische und politische Aufklärung ging hier tatsächlich weitgehend von der Literatur und später auch vom Theater aus. Elfriede Jelinek und Thomas Bernhard sind bis heute ihre wichtigsten Stimmen.

Wie wurden sie in der österreichischen Öffentlichkeit wahrgenommen?

Dem rechten Lager galten sie bis in die 1990er Jahre als „Nestbeschmutzer“, weil sie in Bezug auf die Geschichte des Nationalsozialismus, das jahrzehntelang gepflegte Selbstbild Österreichs „Wir waren das erste Opfer Hitlers und sind daher für nichts verantwortlich“ in ihren Werken nachhaltig zerstört haben. Mehr noch als Bernhard wurde Elfriede Jelinek für den rechten Mob und die Boulevardpresse zur Zielscheibe des Hasses: eine Frau, die benennt, was viele Männer nicht gern hören, das Kind eines jüdischen Vaters, das weder vergessen kann noch will. Das hat sich eigentlich erst nach dem Nobelpreis gelegt. Aber sie hat es durchgestanden, ihre Literatur wurde zur Inspiration für ein „anderes Österreich“. Sie hat das Land verändert, obwohl sie es in den vergangenen Jahren nur noch selten betreten hat.

Elfriede Jelinek verwendet die Form des Botenberichts, was hat das für Konsequenzen in der Inszenierung?

„Rechnitz“ ist kein Kriminalstück. Wir kennen die Täter, obwohl sie nie verurteilt wurden, wir kennen die Opfer, auch wenn noch immer vergeblich nach ihnen gegraben wird. Wir wissen aus historischen Dokumenten sehr genau, was wann geschehen ist. Es geht um die Nachgeschichte, die verschiedenen Varianten der Leugnung, denen sich Täter, Zeugen, Unbeteiligte, Desinteressierte immer wieder bedient haben. Jetzt kommen die Boten ins Spiel: Sie relativieren, verharmlosen, geben teilweise zu, distanzieren sich wieder. Sie kreisen in immer engeren Zirkeln um die unausgesprochene Tatsache. Im antiken Drama sagen die Boten immer die Wahrheit, hier sind sie sehr unzuverlässig. Man muss ihnen genau zuhören, darf ihnen aber nicht trauen. Viele Sätze haben einen doppelten Boden, das öffnet Denkräume. 

Worin liegt die Referenz zu Luis Buñuels Film „Der Würgeengel“?

Die Boten kommen nicht vom Fleck. Sie gleichen darin den feinen Leuten in Buñuels „El ángel exterminador“ von 1962, die eine Party plötzlich aus ungeklärten Gründen nicht mehr verlassen können, und eben jener Festgesellschaft auf Schloss Rechnitz, die zu vorgerückter Stunde just for fun 200 Menschen tötet. Das Wissen der Boten bindet sie untrennbar an die Ereignisse. Der Versuch, es wortreich zu zerreden, kettet sie um so mehr daran.

Jelinek arbeitet mit Worten wie eine Komponistin…

… als Lektüre, auf dem Papier sind es perfekte Partituren. Theater ist aber nicht die Fortsetzung von Literatur mit anderen Mitteln. Die Bearbeitung ähnelt ein wenig dem Bergsteigen, man muss in diesem Textmassiv einen Pfad zum Aufstieg finden, selten führt der direkte Weg nach oben. Theater ist nicht nur Sprache. Es ist Raum, Licht, Töne, Körper, Dinge, der Akt des Sprechens, die Anwesenheit des Publikums. Kurzum: alles was der Zeit oder der Schwerkraft unterliegt. Wir bilden nicht die Wirklichkeit ab, erzählen keine Geschichten. Wir lassen diese ungeheuren Sätze, die Elfriede Jelinek geschrieben hat, durch unsere Körper gehen und hören nach, welche Resonanzen sie in uns, im Raum und bei denen verursachen, die zuschauen. Das ist der Moment, der Theater und die Arbeit daran spannend macht.

In den Stücken von Elfriede Jelinek gibt es keine Zuordnung zu Personen. Macht das die Arbeit nicht schwieriger?

Im Gegenteil. Es hilft, nicht in Stereotypen zu verfallen. Im Alltag spielen wir die verschiedensten Rollen gleichzeitig. Warum sollten wir dann auf der Bühne versuchen, die vielen Aspekte individueller Erfahrung in eine „Figur“ zu packen? Die Lust am Spiel treibt uns für den Moment in die Identifikation mit einer Figur, dieselbe Lust lässt uns wieder aus ihr aussteigen, wenn die Form es erfordert. Ist diese Schauspielerin dort nun die Gräfin, die einer bedeutenden deutschen Industriellendynastie entstammt, einer Familie, die durch den Krieg noch reicher geworden ist und bis heute mit einer bedeutenden Kunstsammlung Eindruck schindet? Im ersten Moment ja, im nächsten Satz vielleicht schon wieder nicht. In jedem Fall bleibt eine Schauspielerin, die auf der Bühne ziemlich interessante Dinge tut.

Wir dürfen uns bei Elfriede Jelinek auch nicht vor der Komödie fürchten. Das bittere Lachen, das sich durch viele ihrer Texte zieht, ist die späte Rache an den Tätern. Wir dürfen sie genießen.

Sind internationale Koproduktionen wie diese Ausgangspunkt für einen nachhaltigen Dialog?

Das hoffe ich doch. Wenn wir wirklich Europäer:innen sein wollen, müssen wir daran ernsthaft arbeiten. Manchmal wenn ich Theater in Deutschland, Österreich oder Frankreich anschaue, habe ich das Gefühl, ich bin in einer bubble, die nur Wohlstandsprobleme verhandelt. Auch wenn Theater letztlich doch eine lustvolle Angelegenheit ist, muss man es doch letztlich so betreiben, als ob es um die Existenz ginge. Sonst bräuchte man sich den ganzen Aufwand gar nicht anzutun. Ich habe in meiner Arbeit wiederholt die Erfahrung gemacht, wie wichtig gerade Theater für die Konstitution der Zivilgesellschaft ist im Kampf um die Bewahrung demokratischer Errungenschaften gegen autoritäre Tendenzen, im Kampf gegen einen nationalistischen Rollback, für Freiheit und Selbstbestimmung von Frauen und sexuellen Minderheiten.

Ansonsten sind wir über Migrationsbewegungen ohnehin miteinander verbunden. In Wien ist B/K/S nach dem Deutschen die meist gesprochene Erstsprache. Der ethnisch homogene Nationalstaat war immer eine politische Fiktion, das gilt für Österreich erst recht.


Interview Nejra Babić SARTR Theatre of War – Sabine Mitterecker Regisseurin

„I speak through theatre, and in doing so, I am conscious that I am fighting for the right to speak in public.“

Elfriede Jelinek

Einladungen

10. Juli 2022 im Kulturzentrum Srebrenica in Zusammenarbeit mit dem

Srebrenica Memorial Center anlässlich der Gedenkfeierlichkeiten zum 27. Jahrestag des Genozids von 1995

8. Sept 2022 beim Festival „Theatre at the Crossroads” in Niš | Serbien

Preise

Selma Alispahić wurde als „Beste Schauspielerin“ beim Festival „Theater at the Crossroads” 2022 in Niš | Serbien ausgezeichnet


Das Plakat von 3007 Eva Dranaz wurde mit dem European Design Award 2022 in Gold ausgezeichnet und ist eines der „100 besten Plakate 21 – Deutschland Österreich Schweiz. Weiters ist es in der Tokyo TDC Exhibition 2023 ausgestellt.

Weitere Beteiligte

Koproduktion SARTR Theatre of War Sarajevo mit HNK Mostar in Kooperation mit THEATER.punkt und Realstage Sarajevo


Assistenz Nejra Babić und Rea Jugo Korrepetition Tijana Vignjević Bewegungstraining Amila Terzimehić Übersetzung b/k/s Bojana Denić, Ensemble

*Englische Untertitel basierend auf der Übersetzung von Gitta Honegger

Fotos ©Dženat Dreković

Gestaltung 3007/Eva Dranaz

Aufführungsrechte Rowohlt Theaterverlag

Fördergeber

Mit freundlicher Unterstützung BMEIA österreichisches Kulturforum Sarajevo, BMKÖS, Kulturabteilung der Stadt Wien MA 7, Zukunftsfonds der Republik Österreich, USAID´s PRO-Budućnost, Kroatisches Kulturministerium

RECHNITZ (Der Würgeengel) RECHNITZ (Anđeo uništenja)

©3007 / Eva Dranaz